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Eine neue Ostpolitik? Nicht jetzt!
18 February 2019 11:33

Russland will seinen alten Großmachtstatus wiederherstellen – auf Kosten der Ukraine. Deshalb wäre eine neue Ostpolitik zum jetzigen Zeitpunkt der falsche Schritt. Ein Gastbeitrag.

Russland und Europa – das ist ein Thema, das die Zukunft unseres Kontinents grundlegend prägt und prägen wird. Es ist verständlich, dass man an dieses Thema in einem positiven und nicht negativen Sinne herangehen will. So wird beispielsweise immer wieder über die Notwendigkeit einer neuen Ostpolitik gesprochen – im Sinne der neuen Annäherung zwischen dem Westen und Russland. Das hört sich wie eine gute Idee an – ist es aber nicht. Nicht jetzt.

Alle historischen Parallelen zwischen der politischen Situation heute und der Zeit von Willy Brandt und Egon Bahr sind verfehlt. Die Zeit ihrer Ostpolitik war in der Tat historisch. Es war der Moment, an dem die beiden Seiten, der Westen und die Sowjetunion, die politischen Gegebenheiten, den Status quo auf dem Kontinent akzeptierten und sich auf eine mehr oder weniger gemeinsame Grundlage für eine friedliche Koexistenz geeinigt hatten.

Die Sowjetunion hatte das Sagen in einem Großteil der Welt. Sie war eine Großmacht, der im Jalta-System ein Teil des „globalen Kuchens“ fest zugesichert war. Da die sowjetische Wirtschaft allerdings immer mehr auf die Erlöse aus dem Erdölhandel angewiesen war, brauchte das Land eine gewisse Akzeptanz im Westen. Der Westen wiederum fand sich zu dem Zeitpunkt mit der Teilung des Kontinents de facto ab; im Austausch für einen stabileren Frieden und eine minimale Möglichkeit, die Menschenrechtslage zu verbessern, gab er der Sowjetunion das, was sie brauchte. Die beiden Seiten entschieden, aufeinander zuzugehen. Die Sowjetunion – aus utilitären Gründen. Der Westen – aus humanitären.

Nun wollen wir sehen, ob diese Kriterien auf die heutige Situation zutreffen. Ja und nein. Auf gewisse Weise treffen sie für den Westen zu, dem die Feindseligkeit mit Russland quer im Hals steckt. Für Russland aber treffen sie keineswegs zu. Was Russland heute sucht, ist nicht die Akzeptanz des Status quo, sondern dessen grundlegende Veränderung. Es will sein Stück des globalen Kuchens zurück – angefangen mit der Ukraine.

Daher sollte man sich bitte nicht täuschen lassen: Russland kann zwar von einem zweiten Helsinki sprechen, es meint aber ein zweites Jalta. Russlands Denken, Verlangen und politisches Kalkül der vergangenen Jahrzehnte sind einem Ziel gewidmet: der Wiederherstellung des Großmachtstatus. Und es glaubt, diesem Ziel nahe zu sein.

Seit der Krim-Annexion befindet sich Russland in einem gefährlichen Blutrausch, handelt in dem Gefühl: „Unsere Zeit ist gekommen, wir holen uns das, was uns zusteht.“ Um das zu verstehen, muss man nur Russisch können und sich einige Polit-Shows im russischen Fernsehen ansehen.

Solidarität in der Frage um Nord Stream 2

Viele im Westen ziehen es – aus welchen Gründen auch immer – vor, diese Gefahr misszuverstehen oder kleinzureden. Einige sind sogar bereit, Russland seinen Teil des „Kuchens“ zurückzugeben. Angefangen, wie gesagt, mit der Ukraine. Als Minister und als Ukrainer sage ich eindeutig: Die Ukraine kehrt nicht in Russlands Schatten zurück. Weder heute, noch morgen, noch übermorgen.

 

Ja, es ist wichtig, dass Russland eine Zukunft in Europa hat. Ja, es ist wichtig, mit Russland auf Augenhöhe zu sprechen. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn Russland sich auf Augenhöhe mit Europa sieht. Was leider nicht der Fall ist, solange Moskau sich aus der Welt der Regeln und des Völkerrechts entfernt hat. Russland sieht sich über dem heutigen Europa, denn Russland sieht sich über dem Völkerrecht.

Gerade deshalb ist es ein falscher Zeitpunkt für eine Annäherung. Denn solange Russland sich im Blutrausch befindet, ist jede Annäherung mit einem Preisschild versehen. Und das ist lang: Darauf stehen Freiheit, Völkerrecht, Demokratie, Solidarität, europäische Einheit ...

Alles, was die Ukraine will, sind drei einfache Dinge: Einigkeit und Recht und Freiheit (das muss dem deutschen Ohr geläufig sein). Wären wir willens, davon abzurücken, hätten wir längst Frieden mit Russland. Einen Frieden in harter, demütigender Sklaverei. Wir wollen das aber nicht – und werden es nicht akzeptieren.

Putins Revanche für die Gorbatschow-Ära

Dem heutigen Europa bietet Russland übrigens auch eine Form von Sklaverei an – eine sanfte und im Alltag kaum spürbare. Sie heißt Nord Stream 2. Man mag sich fragen: Was ist eigentlich falsch daran, das Erdgas aus dem gasreichen Russland über verschiedene Wege zu beziehen? Und wieso muss es uns eigentlich kümmern, dass Putin mit Hilfe der EU die Ukraine für ihren Ungehorsam bestraft?

Nein, es muss nicht. Solidarität ist kein Muss, sondern eine Wahl, eine Frage der Prinzipien und Werte. Und sollte Putin nach einer Annexion, nach mehreren blutigen Kriegen, nach Jahren der antieuropäischen Hasssprache im russischen Fernsehen doch mit einem „Reset“ davonkommen und durch Nord Stream 2 zusätzliches Geld und Mut für seine Kriegsabenteuer gewinnen – dann würde das wohl bedeuten, dass Europa ihm das gewährt, was er am meisten begehrt: eine Revanche für die Gorbatschow-Ära.

Daher meine Bitte: solidarisch und ehrlich bleiben. Die Zeit für eine Annäherung mit Russland wird kommen. Aber erst wenn Russland zum Völkerrecht zurückkehrt.

Der Autor ist Außenminister der Ukraine.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Клімкін Павло Анатолійович, Міністр закордонних справ України

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